Erstellt: 6. August 2025 12:00, zuletzt aktualisiert: 6. August 2025 13:25
In Reaktion auf https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/bildung-lehrer-kritisieren-expansionskurs-von-gostudent/27993394.html und https://www.ombudsstelle.at/blog/schwierige-kuendigung-der-gostudent-mitgliedschaft/
Wie weit darf eine Plattform mit minderjährigen Nutzern gehen?
1. Entlassung der Mitarbeiter
Wie das Handelsblatt berichtete (https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/bildungs-start-up-weitere-entlassungswelle-bei-einhorn-gostudent-hunderte-mitarbeiter-muessen-gehen/28878556.html), entließ das nach eigenen Angaben größte Unternehmen für Online-Nachhilfe mehrere hundert Mitarbeiter auf seinem Weg, einen größeren Gewinn einzufahren.
Inzwischen verlassen sich die Inhaber auf einen Support-Service in der Türkei, wodurch die Kommunikation nur erschwert möglich ist (Übersetzungsfehler, ein großes Fragezeichen in der Datenübertragung, da bei jeder Kontaktaufnahme der Name und die Telefonnr. sowohl des Tutoren als auch des Schülers angegeben werden muss).
Die Verkäufer der in der Regel langen und schwer zu beendenden Verträge sind inzwischen rekrutierte Tutoren, die anhand der Verkäufe verzweifelt versuchen, dem mehrfach gekürzten Stundenlohn entgegenzuwirken.
Aber auch davor gab es bereits die Werbetrommel rührende Tutoren, die Schüler in Schulen aktiv anwerben (Plattformen werben mit einem Bonus von 100€ pro geworbenem Schüler). Diese Tutoren, häufig selbst Lehrer an den jeweiligen Schulen, wissen, wo Bedarf besteht, da sie die Schüler selbst unterrichten. Einem Schüler mit Schwierigkeiten wird demnach nicht mehr nach der Unterrichtsstunde in der Schule geholfen, sondern den Eltern bequem ein Paket für die Nachhilfeplattform angedreht.
Die Plattform "GoStudent" lockt Lehrkräfte durch das „Partnerprogramm“, anhand eines gesonderten Gehalts auf Provisionsbasis aufzustocken:
20% des Preises von jeder Einheit, die der unter Vertrag genommene Schüler auf der Plattform absolviert, unabhängig vom Fach und Tutor. So kann die Lehrkraft den moralischen Zwiespalt umgehen, den eigenen Schüler aus dem realen Leben selbst über die Plattform zu unterrichten.
Diese Leads sind den Tutoren einiges wert. Sie arbeiten beispielsweise aktiv am Stundenverfall mit. Das ist eine weitere Methode, die auf der Plattform herrscht und diese von anderen unterscheidet: gekaufte Einheiten verfallen, wenn sie nicht innerhalb eines Monats verbucht wurden. Vielen Eltern ist dies beim Abschluss des Vertrags nicht erklärt worden und besonders zu Ferienzeiten stehen diese dem Problem gegenüber, dass kein Bedarf an Nachhilfe besteht. Dafür bietet die Plattform eine Lösung: Pausieren. Diese Option kostet natürlich extra, worüber Eltern ebenfalls nicht oder kaum informiert wurden.
2. Irreführende Verkäufe der Verträge
In der Vergangenheit sind die Verträge bzw. deren Mangel an Existenz häufig umstritten worden. Viele Eltern konnten sie nur durch Rechtsbeistände beenden, automatische Verlängerungen und Abbuchungen sowie das Ignorieren von Kündigungen sind an der Tagesordnung. Inzwischen verweist die Plattform nur noch auf die App, in welcher genaue Daten zum Vertragsgegenstand zum Zeitpunkt dieses Artikels jedoch nicht ersichtlich sind. Schriftlich gibt es in der Regel auch keine. Trotzdem schafft die Plattform es, bei den Eltern Druck aufzubauen, damit diese monatlich zahlen – ob die Leistung der Nachhilfe erbracht wird oder nicht.
3. Echte Lehrer wirken aktiv am Stundenverfall mit
Im Rahmen der Vorstellung des „Partnerprogramms“ haben die motiviertesten Tutoren vorgestellt, wie sie den Eltern bewusst die Information vorenthalten oder sich weigern, Stunden aus einem aktuellen Monatskontingent (die Eltern zahlen im Voraus für ein Paket von x Stunden für die folgenden 4 Wochen) über den aktuellen Monat hinaus zu verbuchen, damit diese am Ende des Abrechnungszeitraums nicht verfallen. Ein weiterer Trick dabei: Die Abbuchung findet an Tag 1 des Abrechnungsmonats statt. Bis das Kontingent im Profil des Schülers als aufgeladen erscheint, kann bereits Tag 3 eingetreten sein. An Tag 30 (im Februar entsprechend Tag 27 oder 28) verfallen die bis dahin nicht eingehaltenen Stunden.
4. „Wer gerne mehr verdienen möchte…“
Die Spam-gleichen Werbemails, um „GoStudent-Partner“ zu rekrutieren, landen immer häufiger in den Postfächern. Es wird gelockt und zeitgleich mit dem Verringern der Beträge für abgehaltene Einheiten dazu gedrängt, Verträge abzuschließen, wenn man weiterhin etwas verdienen möchte. Am 28. Februar 2025 erhielten die Tutoren nach 17h die Information per E-Mail, dass ab dem folgenden Tag (also in weniger als sieben Stunden) neue Tarife gelten werden: 12€ Basistarif pro Einheit, wer regelmäßig eine Vielzahl an Stunden abhält, kann sich um bis zu 3€ hocharbeiten. Boni wurden umgehend und vollkommen eingestellt. Dabei zahlen Kunden über 30€ pro Einheit. Wenn eine davon nicht wahrgenommen wird, kassiert das Unternehmen das Kontingent und der Tutor erhält lediglich 6,50€. Spätestens im Anschluss auf diese Änderung hat sich ein Großteil langjähriger und erfahrener Tutoren verabschiedet. Geblieben sind die, die aufgrund von mangelnder Qualifikationen keine Alternative haben oder sich in Profitgier am Partnerprogramm beteiligen.
Die Probestunden, die auf der Website gebucht werden können, werden den Tutoren nur bei Vertragsabschluss vergütet. Und nur, wenn der Tutor über den Abschluss unterrichtet wird. Andernfalls geht der Tutor leer aus. Dementsprechend haben Tutoren sich dazu entschlossen, keine Probestunden zu halten. Das muss man dem „Support“ explizit mitteilen, da es keine Funktion auf der Plattform gibt, nur reguläre Buchungen anzunehmen. Die Verkäufer buchen aber trotzdem gern Probestunden ein, wenn der Tutor nicht erscheint, erhält er schließlich eine Strafe von 25€, die automatisch vom Verdienst abgezogen werden. Das reichte allerdings nicht aus. Da Tutoren noch immer wagten, Probestunden im Vorfeld abzusagen, gibt es nun auch eine Strafgebühr in Höhe von 10€ für das frühzeitige Absagen von den unbezahlten Einheiten.
5. Last but not least: die Privatsphäre
Dass die Einheiten ohne das Wissen der Schüler und Tutoren aufgezeichnet wurden, ist bekannt. Der Geschäftsführer hat auf den entsprechenden Artikel des Handelsblatts hin einen Kommentar auf seinem Profil der Plattform LinkedIn veröffentlicht, in dem er die plumpe Aussage traf, dies stimme nicht. Was genau er nun dementierte (die Aufzeichnungen oder das nicht in Kenntnis setzen darüber), geht aus seinem Kommentar nicht hervor.
Der Hintergrund:
Es werden und wurden über einen ungenauen Zeitraum hinweg Einheiten aufgezeichnet, um die KI-Version von GoStudents Unterricht zu erstellen. Dass dabei Aufzeichnungen von Minderjährigen und Tutoren ohne deren Wissen angefertigt wurden, ist der oberflächliche Skandal.
Dahinter steckt erstens das Problem, dass die Tutoren um ihr Wissen ausgenutzt wurden: während echte Personen Zeit und Geld in ein Studium investieren und sich dann dazu entschließen, dieses Wissen zu teilen, hat dieser Anbieter sich dazu entschlossen, für keine Informationen zu bezahlen, sondern das geistige Eigentum der Tutoren mitzuschneiden und für eigene profitable Zwecke zu verwenden.
Doch wie sieht es mit der Sicherheit aller Betroffenen aus? Wo, wie lange und wie geschützt werden die Aufzeichnungen gespeichert, abgesichert und wer hat Zugang?
Wenn ein Schüler seinem Tutoren erzählt, wann er aus der Schule kommt, in welche Klasse er geht und wie er seine Freizeit verbringt, sind das sensible Inhalte. Auch ein Tutor möchte seine Privatsphäre geschützt wissen und teilt seinem Schüler zwar mit, wo er studiert/arbeitet und welche Reisepläne er hat. Doch diese Informationen sind nicht für Dritte! Die Gefahren, die sich im Speziellen für Minderjährige im Netz, im Allgemeinen aber auch für jeden erwachsenen Nutzer abzeichnen, sind endlos.
Schlussendlich ist ebenfalls unklar, was mit Metadaten geschieht. Kein Tutor kann diesen Aufzeichnungen widersprechen und die Schüler wissen häufig nicht, wie.
Anfragen zur Datenabfrage wurden seitens der Plattform nicht wahrheitsgemäß beantwortet.